Warum sich Designer:innen mit künstlicher Intelligenz befassen sollten

Dr. Sebastian Loewe
4 min readDec 13, 2022

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Mit DALL-E erstelles Bild für den Prompt “​a graphic designer trying to make sense of artificial intelligence, illustration style”​

Künstliche Intelligenz (KI) dringt mit Wucht in die Welt der Gestalter:innen und verändert ihre Praxis. Als Gestalter:in wird es Zeit, zu prüfen, wieso man KI kennen sollte und was sie für das Design leistet.

Ganz prinzipiell: Design nutzt immer Gestaltungswerkzeuge, egal ob sie Jahrtausende alt sind oder erst kürzlich entwickelt wurden. Diese Werkzeuge helfen nicht nur, Gestaltung dem Zweck ihrer Nutzung gemäß zu planen und zu implementieren. Sie sind auch Mittel, um schneller, effektiver und präziser zu gestalten. Es ist kein Geheimnis, dass digitale Werkzeuge ihren analogen Gegenstücken in puncto Verarbeitung und Anwendung vielfach überlegen sind. Oft sind Stift und Papier gute Werkzeuge für Ideenfindung und Prototyping, aber wenn es um die Umsetzung geht, müssen gestalterische Werkzeuge mittlerweile komplexe Aufgaben bewältigen können, die nur digitale Systeme zufriedenstellend ausführen.

Digitale Werkzeuge, darin unterscheiden sie sich nicht von den analogen, haben ihre je eigenen Notwendigkeiten, Funktionsweisen, Potenziale und Grenzen. Die intelligenten Gestaltungswerkzeuge sind in dieser Hinsicht keine Ausnahme. So arbeiten intelligente Systeme nur in ihrem jeweils definierten Bereich und das auch nur, wenn sie eine genügend gute Basis haben.

In einer anderen Hinsicht jedoch sind intelligente Werkzeuge tatsächlich von allen anderen zu unterscheiden. Mit statistischen Lernverfahren, auf denen KI basiert, ist es möglich, auf der Grundlage von mehr oder weniger genauen Vorhersagen zu gestalten, sowohl was die digitalen Erlebnisse von Nutzer:innen angeht als auch die Mittel der Gestaltung. Damit ändert sich die Qualität der Werkzeuge für Gestaltung ein ganzes Stück weit und schafft neue, kreativere oder effektivere Möglichkeiten zu gestalten. Für Designer:innen bedeutet dies, dass sie ohne ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise von statistischem Lernen in Zukunft nicht mehr die vollen Potenziale von Gestaltungswerkzeugen werden ausschöpfen können. Wenn sie die Logik und Funktionsweise ihrer Werkzeuge nicht verstehen, können sie sie schlicht nicht effektiv einsetzen.

Aber nicht nur die Technologie hat sich in den letzten Jahren rasant fortentwickelt. Auch die Arbeitsbereiche der Designer:innen haben sich immer mehr erweitert. Gestalter:innen sind heute nicht mehr nur die Schönheitsbeauftragten, die fertige Produkte aufhübschen, sondern mittlerweile in agile Innovations- und Produktentwicklungsprozesse von Beginn an einbezogen. Sie forschen dort an nutzer:innenzentrierten Lösungen für tatsächlich vorhandene Bedürfnisse. Dabei fällt ihnen die Aufgabe zu, solche Bedürfnisse mittels technologischer Möglichkeiten in komplexe digitale Lösungen und User Experiences zu überführen. Mit intelligenten Systemen ändern sich auch Nutzer:innenerfahrungen grundlegend, denn sie können Präferenzen, Vorlieben und Handlungen von Nutzer:innen antizipieren und das Produkt daran anpassen. Um diese Erfahrungen mit intelligenten Produkten bestmöglich gestalten zu können, benötigen Designer:innen ein grundlegendes Verständnis von der Wirkungsweise und den Anwendungsmöglichkeiten zentraler Verfahren statistischen Lernens. Neben den Bedürfnissen der Nutzenden müssen sie nun auch die Datenbedürfnisse der intelligenten Systeme kennen.

Vielfach sind Gestalter:innen heute in interdisziplinäre Entwicklungsteams eingebunden. Mit Data Scientists oder Developer:innen in interdisziplinären Teams zusammenzuarbeiten, ohne ein Verständnis des gemeinsamen Gegenstandes zu haben, ist schwierig und unproduktiv. Gerade in Teams, die keinen homogenen fachlichen Background besitzen, ist es für Gestaltende wichtig, ein Grundverständnis zu entwickeln, wie intelligente Systeme funktionieren, um sich mit Kolleg:innen austauschen und gemeinsam neue Ideen entwickeln und umsetzen zu können. Wie gut Innovationspotenziale ausgeschöpft werden, ist daher auch eine Frage des gelingenden Austauschs zwischen den Teammitgliedern.

In einigen Firmen haben es sich Designer:innen daher zur Aufgabe gemacht, eine gestalterische Grundlage für die gemeinsame Arbeit zu schaffen. Bei Airbnb haben Designer:innen und Designmanager:innen beispielsweise ein Framework mit dem Namen Invisible Design entwickelt, das ihnen ermöglicht, eine gemeinsame Verständigung mit Data Scientists und Entwickler:innen herzustellen, indem sie die Wirkungsweise eines für Airbnb zentralen Verfahrens statistischen Lernens, die lineare Regression, visualisierten. In dem interdisziplinären Entwicklungsteam wurde ein gemeinsames Verständnis entwickelt, wie lineare Regression funktioniert, indem man die mathematische Formel, die den Designer:innen nicht zugänglich war, grafisch übertrug. So wurde die Wirkungsweise des Lernverfahrens visuell verdeutlicht. Dies wiederum lieferte dann die gemeinsame Grundlage, um erfolgreich Services, wie die automatische Preisempfehlung für Airbnb-Gastgeber:innen umzusetzen. Gestaltende verantworten nicht mehr nur Nutzer:innenerlebnisse, sie spielen auch eine zentrale Rolle dabei, die technologische Grundlage dieser Erlebnisse zu kommunizieren und in eine User Experience zu übersetzen.

Alle hier angesprochenen Aspekte müssen Designer:innen, die mit intelligenten Systemen gestalten, nachvollziehen und beherrschen, um zu nützlichen Lösungen zu gelangen. Gestalter:innen sollten deshalb eine grundlegende Vorstellung haben, was zentrale Verfahren der künstlichen Intelligenz sind, was sie für die Nutzer:innen leisten können und worin ihre wesentlichen Unterschiede und Anwendungsgebiete bestehen.

Wer einen umfänglichen und verständlichen Überblick haben möchte, was KI für das Design leistet, welche zentralen Verfahren der KI es gibt und wie man sie in die eigene gestalterische Praxis einsetzt, schaut in das Buch „Design und künstliche Intelligenz“. Mehr zum Buch auf designundki.de.

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Dr. Sebastian Loewe
Dr. Sebastian Loewe

Written by Dr. Sebastian Loewe

Professor for design & management at Mediadesign University Of Applied Sciences, Berlin, Germany.

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